Optisch berührungsloses Messen von Weg und Geschwindigkeit

Kamele und Panzerkreuzer

Dr. Burghard Korneffel

Kamele und Panzerkreuzer

Flächen im eingeengten Stuttgarter Zentrum durch Aufgabe des Kopfbahnhofes zu gewinnen ist eine schlüssige Idee. Doch mit welchen technischen Lösungen organisiert man zukünftig den Schienenverkehr? Der in S21Vers95 vorgesehene Halb/Tiefbahnhof erweist sich bei näherem Hinsehen als Mogelpackung.

Der Halb/Tiefbahnhof entzieht etwa 6 ha in bester Zentrumslage einer Nutzung. Der Bahnhof sowie die Gleisflächen für Zu- und Abfahrt, in den Untergrund verlegt, lassen sich nicht überbauen. Das Betreten des riesigen, spärlich oder eventuell gar nicht begrünten und schief aus dem Boden ragenden Daches wird wahrscheinlich nur eingeschränkt möglich sein. Statt der Gleisfelder des Kopfbahnhofs eine riesige Betonplatte. Dafür wurde der schönste Teil des Mittleren Schlossgartens geopfert. Wo ist der ultimative Flächengewinn? Dieser Halb/Tiefbahnhof bringt nichts und platziert mitten im Zentrum ein architektonisches Loch gewaltiges Ausmaßes. Außerdem ist er eine technische Fehlkonstruktion.

Da hätte man auch einen futuristischen Gebäudekomplex errichten können mit dem Bahnhof im Kellergeschoss. Das wäre konsequent gewesen, mit einem Hauch des 21. Jahrhunderts. Ich sage nicht, dass mir das gefiele. Das Zentrum sähe danach anders aus, und der schönste Teil des Mittleren Schlossgartens wäre ebenfalls weg.

S21Vers95 bringt überhaupt keine Innovationen. Das wichtigste Problem Stuttgarts, der Ausbau des schienengebundenen Nahverkehrs, findet nicht statt.

Architekt Ingenhoven sagte in der Schlichtung, dass auch ein Steingarten als Parklandschaft zählt. Damit wissen wir, was sich hinter dem Werbesprech, mit S21 werde der Park erweitert, verbirgt.

Wir erleben in Echtzeit den Großversuch, das Kamel Ökologie durch das Nadelöhr S21Vers95 zu zwängen.

Wie viel Rebensaft ist wohl im Weinhäusle geflossen, bis sich die Stuttgarter Lokalpolitiker über den Tisch ziehen ließen? Doch weitaus interessanter ist die Frage: Wer zog?

Zum schief aus dem Boden ragenden Dach des Halb/Tiefbahnhofs gibt es keine nachprüfbaren Angaben zur Tragfähigkeit. Vielleicht liegen die Daten in der Geheimkammer. Das bedeutet nichts gutes für die Bürger.

Die PR-Agentur duldet bei S21Vers95 keine Bedenken. Die Platte werde bis zu einem Meter hoch mit Erde überdeckt, bepflanzt und sei für eine beliebige Anzahl Fußgänger begehbar, so tönt es.

Gartenerde hat eine mittlere Dichte von 1,5 g/cm³ . Eine Fläche von 1 m² , überdeckt 1m hoch mit Gartenerde, drückt auf das Dach mit 1,5 t/m² . Das ist eine gewaltige Flächenlast! Da könnte man doch etwas Besonderes schaffen! Ich schlage vor, einen originalgetreuen Nachbau des Panzerkreuzers Fürst Bismarck auf das Dach zu stellen. Er wöge, aufmunitioniert und mit gefüllten Kohlebunkern, 11.461 t. Bei einer Schiffslänge von 127 m würde ein Dachstreifen von 127 x 60 m² genügen, um das Gewicht aufzunehmen, also nur ein Bruchteil der gesamten Dachfläche.

Das wäre ein Highlight! Der Traum von 1900, einen Bahnknoten im Zentrum Stuttgarts zu bauen, würde mit S21Vers95 erfüllt. Und das Flaggschiff der Kaiserlichen Marine auf dem Dach schützte ihn! Die Menschen werden zuhauf herbei strömen und mit feuchten Augen die beiden technischen Denkmäler bestaunen.

Wenn da nicht diese Vision wäre! Ich befand mich plötzlich im Jahr 2031. Der Halb/Tiefbahnhof war nach prunkvoller Eröffnung schon ein paar Wochen in Betrieb. Auf dem Dach wie jeden Montag eine Demonstration der Bewegung für bürgernahe Demokratie. Lächerliche 25.000 Teilnehmer, wie die Polizei mitteilte. Kein Problem für das Dach, laut PR-Agentur begehbar von einer beliebigen Anzahl von Fußgängern. Plötzlich ein infernalisch metallisches Kreischen, hartes Knallen von brechenden Steinen, der Panzerkreuzer sinkt majestätisch in die Tiefe, das Dach aufreißend, um letztlich auf der unteren Gleisebene aufzusetzen. Vielleicht hatten die Veranstalter mit 50.000 Teilnehmern doch recht. Das sind 4.000 t zusätzliches Gewicht. Ein schwarzer Tag für Stuttgart? Als erste meldeten sich die Verkehrsbetriebe zu Wort. Der Schaden sei überschaubar, da S21Vers95 sowieso nicht richtig funktionierte. Dafür quoll die Stadt von Touristen über. Jeder wollte das neue Kunstwerk sehen: Der Halb/Tiefbahnhof, zerstört, umklammert gleich einem letzten Aufbäumen seinen Beschützer, den Panzerkreuzer, ebenfalls mit argen Blessuren versehen und mittlerweile vom Wasser im Bahnhofstrog umspült.

Wieder in der Realität angekommen, beschleichen mich arge Zweifel an den Lobpreisungen der PR-Agentur zum Halb/Tiefbahnhof.

 

© Dr. Burghard Korneffel

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10. August 2013

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